Anhänge

2. Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie (OPSC)

Vorheriges Kapitel
1. Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (OPAC)

Ergänzender Bericht zum Fakultativprotokoll betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (PDF)

Die Verantwortung für den Inhalt, das Lektorat und die Übersetzung (Original Englisch) liegt bei ECPAT Deutschland.

Zur Erstellung dieses Berichtes hat ECPAT Deutschland Konsultationen mit seinen Mitgliedsorganisationen, mit Fachkräften und mit weiteren Netzwerken geführt, die in der Prävention und der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und des Handels mit Kindern aktiv sind: Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren, Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen Sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend, Innocence in Danger, terre des hommes Deutschland, Wildwasser Freiburg.

Autorin: Daja Wenke
Redaktion: Dr. Dorothea Czarnecki, Mechtild Maurer, Jana Schrempp
Redaktionsschluss: 31.07.2019

Einleitung

Dieser Bericht ergänzt den Fünften und Sechsten Staatenbericht, den die Bundesregierung dem Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes im April 2019 vorlegte. Er nimmt auf die abschließenden Bemerkungen des Ausschusses aus dem Jahr 2014 Bezug und erörtert die seither erzielten Fortschritte aus der Perspektive der Zivilgesellschaft.

Der Bericht bewertet die Umsetzung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (OPSC) durch die Bundesregierung. Als führende Nichtregierungsorganisation in diesem Bereich weist ECPAT auf Schwachstellen und Lücken in den Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern in Deutschland hin. ECPAT ersucht den Ausschuss für die Rechte des Kindes, die Bundesregierung nachdrücklich aufzufordern, ihren Verpflichtungen im Rahmen des OPSC nachzukommen und die Umsetzung konkret voranzubringen.
Die dahingehenden Einschätzungen und Empfehlungen dieses Berichtes basieren auf dem Fachwissen und der Erfahrung von ECPAT und auf Konsultationen mit erfahrenen Fachkräften und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

1. Allgemeine Koordinierung und Umsetzungsmaßnahmen

1.1 Koordinierung und nationale Strategie (Art. 4 UN-KRK)

In seinen abschließenden Bemerkungen aus dem Jahr 2014 empfahl der Ausschuss für die Rechte des Kindes (im Folgenden auch „Kinderrechtsausschuss“ oder „Ausschuss“) der Bundesregierung, eine umfassende nationale Strategie zur Bekämpfung aller Formen der Gewalt gegen Kinder auszuarbeiten und einen entsprechenden bundesweiten Koordinierungsrahmen zu verabschieden. Der Ausschuss stellte zudem fest, dass seine frühere Empfehlung hinsichtlich einer wirksameren Koordinierung noch nicht umgesetzt worden ist.

Der Staatenbericht informiert über wesentliche Entwicklungen im Berichtszeitraum. ECPAT begrüßt insbesondere die Verstetigung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) im Jahr 2018, zumal dies auch vom Kinderrechtsausschuss empfohlen wurde. Aufgrund der Mandatsbegrenzung des Unabhängigen Beauftragten auf Fragen des sexuellen Missbrauchs, gibt es jedoch nach wie vor keine zentrale Stelle, die für Fragen der Ausbeutung von Kindern zuständig ist. Es besteht somit weiterhin eine erhebliche Lücke bei der Koordinierung der Aktivitäten im Rahmen des OPSC.

ECPAT begrüßt ebenso die Einrichtung der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen Sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) auf Projektbasis. Diese Maßnahme bleibt jedoch in Umfang und Reichweite begrenzt, da die Fachberatungsstellen nicht in allen Teilen der Bundesrepublik vorhanden sind und nicht alle Beratungsstellen über spezialisiertes Fachwissen zur sexuellen Ausbeutung von Kindern verfügen. Die Einrichtung der Bundeskoordination auf Projektbasis deckt den Bedarf einer koordinierten langfristigen Unterstützung gefährdeter Kinder und minderjähriger Opfer somit nicht. ECPAT hält es weiterhin für erforderlich, eine nationale Strategie zur Koordinierung von Präventionsmaßnahmen, Hilfeleistungen und qualifizierter Unterstützung für betroffene und gefährdete Kinder zu erarbeiten. Die großen Unterschiede in Angebot und Spezialisierung der Fachberatungsstellen, die weiterhin zwischen den Bundesländern und zwischen städtischen und ländlichen Regionen bestehen, müssen behoben werden.

ECPAT Deutschland begrüßt die Entscheidung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, einen Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen einzuberufen und ihn zu beauftragen, eng mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) zusammenzuarbeiten. ECPAT betrachtet es als unerlässlich, dass sich der Nationale Rat neben Fragen der sexuellen Gewalt gegen Kinder auch der sexuellen Ausbeutung von Kindern widmet.

Im Berichtszeitraum hat die Bundesregierung zunehmend anerkannt, dass eine verstärkte Koordinierung zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im digitalen Umfeld notwendig ist. Ziele zum Kinder- und Jugendmedienschutz wurden in den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung aufgenommen.

Zudem beteiligte sich die Bundesregierung im Rahmen des Europarates an der Erarbeitung der Leitlinien des Ministerkomitees zu den Rechten des Kindes im digitalen Umfeld und ihrer Verabschiedung im Jahr 2018. Dies stellt ein klares Bekenntnis der Bundesregierung dar, sich für die Verbreitung der Leitlinien einzusetzen und ihre Umsetzung in Deutschland und international zu befördern. Obwohl im Berichtszeitraum eine Gesetzesreform verabschiedet und zahlreiche Projekte durchgeführt wurden, gibt es bisher noch keine umfassende Strategie zur Förderung der Rechte und der Sicherheit des Kindes im digitalen Umfeld.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die Ausarbeitung einer nationalen Strategie, beziehungsweise eines neuen Aktionsplans zur Koordinierung der Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Kindern mit dem Ziel, dass bundesweit alle Kinder durch Präventionsmaßnahmen und Hilfeleistungen wirksam erreicht werden, die auch das Thema Risiken, Schutz und Hilfen für Kinder im analogen und digitalen Umfeld berücksichtigen. Die nationale Strategie, bzw. der Aktionsplan, sollte ausreichend finanziert und in der Umsetzung begleitet werden.
  2. die Erarbeitung eines bundesweiten Koordinierungskonzeptes zur Achtung, Förderung und Verwirklichung der Rechte des Kindes im digitalen Umfeld, im Einklang mit den entsprechenden Leitlinien des Europarates und den Zielen des Koalitionsvertrages, und mit gesonderter Berücksichtigung der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Kindes vor sexueller Ausbeutung. Kinder sollten dabei aktiv in die Entwicklung und Umsetzung von politischen Maßnahmen und Programmen eingebunden werden, unter Einhaltung ethischer Standards.
  3. die Einrichtung einer nationalen Bund-Länder-Koordinierungsstelle, die Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder und sexueller Ausbeutung in der Umsetzung bundesweit begleitet und überwacht, im Einklang mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen und ihren Fakultativprotokollen. Eine solche Koordinierungsstelle wäre zudem dazu geeignet, ein Forum für den behördenübergreifenden interdisziplinären Austausch anzubieten, unter Beteiligung aller zuständigen staatlichen Akteure auf Bundes- und Länderebene, der Vertretungen der Städte und Kommunen, Fachinstitutionen, Organisationen und privater Dienstleister, Vertretungen der Wissenschaft und der Wirtschaft.

1.2 Kooperation und multiprofessionelle Arbeitsweisen im föderalen System (Art. 4 UN-KRK)

Im föderalen System gibt es kein einheitliches nationales Kinderschutzsystem für die 16 Bundesländer und alle Städte und Gemeinden. Die Organisation und Finanzierung der Leistungen im Kinderschutz und die Einrichtung multiprofessioneller Kooperationsmodelle fällt in die Zuständigkeit von Städten und Landkreisen mit ihren unabhängigen Jugendämtern. In der Praxis variiert daher das Angebot, die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Leistungen im Kinderschutz und in der Kinder- und Jugendhilfe. Die Jugendämter haben mit begrenzten Ressourcen zu kämpfen, und die Arbeitsbedingungen und Gehälter ihrer Mitarbeitenden stehen nicht in angemessenem Verhältnis zu ihrer anspruchsvollen Funktion und sozialen Verantwortung. Die Erfahrung von Fachkräften aus diesem Bereich zeigt, dass für die Mitarbeitenden der Jugendämter aufgrund dieser Situation die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und mit privaten Dienstleistern von zentraler Bedeutung ist.

In diesem stark fragmentierten System ist eine Regulierung dezentraler Hilfeleistungen und Dienste ausgesprochen wichtig, um einheitliche Qualitätsstandards in der Leistungserbringung für Kinder in allen Teilen des Landes zu gewährleisten. Die Bereitstellung entsprechender Rahmenwerke und Leitlinien für die multiprofessionelle und behördenübergreifende Zusammenarbeit und Koordinierung könnte deren Förderung maßgeblich erleichtern, ebenso wie die Bereitstellung leicht zugänglicher, kindgerechter Verfahren für Beschwerde, Meldung und Monitoring. Gegenwärtig sind diese zentralen Schutzmaßnahmen und Gewährleistungen noch nicht einheitlich vorhanden. Trotz des Inkrafttretens des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 und der aus seiner Evaluierung im Jahr 2015 gewonnenen Erkenntnisse, werden kommunale Kinderschutzsysteme bzw. örtliche Netzwerke weder klar geregelt noch überwacht. Obwohl der Staatenbericht wichtige Initiativen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene beschreibt, ist es der Bundesregierung faktisch unmöglich, einen Überblick zu gewinnen über Umfang und Qualität der kommunalen Leistungen für Kinder, die von sexueller Ausbeutung betroffen oder gefährdet sind.

Angesichts des Fehlens einheitlicher Hilfeverfahren bei Fällen von Handel mit Kindern („national referral mechanism“) forderte die Expertengruppe des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA) in ihrer ersten Evaluierungsrunde 2015 die Bundesregierung dazu auf, diese Lücke zu schließen. Im Jahr 2018 veröffentlichte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Bundeskooperationskonzept „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“, welches ECPAT Deutschland in Zusammenarbeit mit KOK, dem Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V., auf Grundlage einer breit angelegten Konsultation von Fachkräften auf Bundes- und Landesebene erarbeitet haben. Sowohl GRETA als auch führende zivilgesellschaftliche Expertinnen und Experten sehen in der Arbeit mit dem Bundeskooperationskonzept und seiner fortschreitenden Umsetzung eine Chance, die lokalen und regionalen Hilfeverfahren in Fällen der sexuellen Ausbeutung und des Handels mit Kindern und in Gefährdungssituationen zu stärken und ihre Entwicklung dort anzuleiten, wo solche Mechanismen und Strukturen noch nicht existieren.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. sicherzustellen, dass multiprofessionelle Hilfeverfahren („referral mechanism“) auf kommunaler Ebene vorhanden und voll einsatzbereit sind, um Kinder, die von sexueller Ausbeutung betroffen oder bedroht sind, verlässlich zu identifizieren und an geeignete Hilfen und Unterstützungsangebote zu verweisen. Hilfeverfahren und entsprechende Meldesysteme müssen kindgerecht und für Kinder und Erwachsene im analogen und digitalen Umfeld leicht auffindbar und zugänglich sein, wie in den Leitlinien des Europarates zu den Rechten des Kindes im digitalen Umfeld und in den Grundsätzen für integrierte Kinderschutzsysteme der Europäischen Kommission empfohlen. Hilfeverfahren sollten zudem gewährleisten, dass der Fachwelt geeignete Leitlinien und Qualitätsstandards für den Kinderschutz, sowie Indikatoren zur Identifizierung gefährdeter Kinder und minderjähriger Opfer, zur Verfügung stehen, und dass diese in der Praxis verbindlich angewendet und regelmäßig aktualisiert werden.
  2. die Umsetzung des Bundeskooperationskonzeptes „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“ kontinuierlich voranzubringen. Entsprechend den Empfehlungen der Expertengruppe GRETA und wie im Bundeskooperationskonzept ausgeführt, ist die beständige Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen erforderlich, um die notwendigen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Bundeskooperationskonzeptes zu schaffen. Die Umsetzung sollte angemessen begleitet und evaluiert werden.

1.3 Gesetzesreformen zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern (Art. 1 und 3 OPSC)

Im Berichtszeitraum wurde der Straftatbestand des Menschenhandels durch zusätzliche Formen der Ausbeutung ergänzt. Diese Gesetzesreform wurde im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels (2011/36/EU) erforderlich und ermöglicht es, die Gruppe der von Ausbeutung betroffenen Kinder, die offiziell als Opfer von Menschenhandel anerkannt werden können, auszuweiten. Abgesehen von dieser Verbesserung bleibt der Status der Kinder, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, unzureichend geschützt. Die Empfehlung des Kinderrechtsausschusses, die Ausstellung von Aufenthaltserlaubnissen für ausländische Kinder als Opfer von Menschenhandel nicht an Konditionen zu binden, wurde noch nicht umgesetzt.

Das Aufenthaltsgesetz sieht zwar in §§25 und 23a die Möglichkeit vor, ausländischen Opfern des Menschenhandels eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, dies ist jedoch von der Zusammenarbeit der Person mit den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden abhängig oder gilt für Härtefälle. Da diese Regelung unterschiedslos für Erwachsene und Kinder gilt und ihre Anwendung im Ermessen der zuständigen Behörde liegt, können sich minderjährige Opfer des Menschenhandels nicht darauf verlassen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.

ECPAT sieht es zudem kritisch, dass das Aufenthaltsgesetz keinen Bezug auf das Kindeswohl nimmt, wenn es darum geht, den Aufenthaltsort und eine dauerhafte Lösung für ein ausländisches minderjähriges Opfer von Menschenhandel zu bestimmen und dessen Aufenthaltsstatus in Deutschland nicht geregelt ist. Gemäß Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention und den einschlägigen internationalen Leitlinien sollen Entscheidungen über den Aufenthalt eines ausländischen Kindes in Deutschland, die Rückkehr in das Herkunftsland oder die Überstellung in ein Drittland innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union auf der Grundlage eines individuellen Verfahrens zur Kindeswohlbestimmung getroffen werden.

Im Juni 2019 wurde mit dem Migrationspakt eine Reihe von Asyl- und Migrationsgesetzen verabschiedet, die darauf abzielen, die Einwanderung nach Deutschland zu regeln, die Abschiebung abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber zu beschleunigen und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende anzupassen. Das Gesetz über die Rückführung abgelehnter Asylsuchender (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) steht wegen seiner verschärften Bestimmungen besonders stark in der Kritik. Es sieht keine spezifischen Schutzmaßnahmen für Personen mit besonderen Schutzbedürfnissen vor, deren Asylanträge abgelehnt wurden, wie beispielsweise Minderjährige oder Opfer sexueller Gewalt. Das Gesetz nimmt zudem keinen Bezug auf das Kindeswohl als ein Grundprinzip internationalen Rechts.

Gesetzesreform zur Prävention der sexuellen Ausbeutung im digitalen Umfeld

Das im Januar 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) definiert rechtswidrige Inhalte in den sozialen Medien. Anbieter von sozialen Netzwerken werden dazu verpflichtet, Beschwerden von Nutzerinnen und Nutzern zu prüfen und rechtswidrige Inhalte zeitnah zu löschen. Das Gesetz hat dazu beigetragen, die Meldung rechtswidriger Inhalte an die Anbieter sozialer Netzwerke zu erleichtern. Führende Expertinnen, Experten und Verbände in diesem Bereich sowie die Medien haben das Gesetz jedoch wegen seiner begrenzten Reichweite und unzulänglichen Umsetzung kritisiert. Rechtswidrige Inhalte im Sinne des Gesetzes schließen Darstellungen der sexuellen Ausbeutung von Kindern in der Pornografie nur ein, wenn die betroffenen Kinder unter 14 Jahre alt sind, während Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren nicht berücksichtigt werden. Darüber hinaus überlässt das Gesetz die Entscheidung darüber, was als rechtswidriger Inhalt eingestuft wird, den Anbietern sozialer Netzwerke und nicht den zuständigen staatlichen Stellen. Anbieter von Netzwerken mit weniger als zwei Millionen Nutzern und Nutzerinnen in Deutschland sind von dem Gesetz ausgenommen. Nicht erfasst werden zudem Messaging-Dienste und die Online-Spiele-Industrie. Dies stellt einen schwerwiegenden Mangel dar, da die Nutzung von Online-Spielen erwiesenermaßen das Risiko für Kinder erhöht, unerwünschte sexuelle Anfragen zu erhalten.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die Überarbeitung des Aufenthaltsgesetzes, um sicherzustellen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ausländische Kinder, die Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel sind, nicht von strafrechtlichen Ermittlungen und der Zusammenarbeit des Kindes mit den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden abhängt. In Entscheidungen über die Aufenthaltserlaubnis und eine dauerhafte Lösung für das Kind muss das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt werden, unabhängig von der nationalen Herkunft, vom Aufenthalts- oder Opferstatus des Kindes.
  2. die Überarbeitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, um seine Anwendung auf alle Anbieter sozialer Netzwerke und andere relevante Internetdienste auszudehnen, in denen Kinder aktiv sind, einschließlich Chatrooms und Online-Spiele, und die Erweiterung der gesetzlichen Definition rechtswidriger Inhalte auf Fälle von Online-Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in der Altersgruppe von 14 bis 17 Jahren.

1.4 Aus- und Fortbildung von Beamten und Fachkräften (Art. 8 Abs. 4 und 9 Abs. 2 OPSC)

In seinen abschließenden Bemerkungen aus dem Jahr 2014 äußerte sich der Kinderrechtsausschuss besorgt über unzureichende Schulungsmaßnahmen in Bezug auf die Kinderrechtskonvention. Der Ausschuss empfahl, systematische und fortlaufende Aus- und Fortbildungsprogramme für alle Berufsgruppen zu entwickeln, die mit Kindern und für Kinder arbeiten.

Der Staatenbericht informiert über Schulungsmaßnahmen für Beamte und Fachkräfte in verschiedenen Bereichen wie Justiz, Sozialwesen, Bildung und Gesundheit. Da die Bereitstellung akademischer und beruflicher Aus- und Fortbildung in die Zuständigkeit der Länder fällt, sind Verfügbarkeit, Inhalt und Umfang der Bildungsangebote sehr unterschiedlich ausgeprägt. Aus dem Staatenbericht geht nicht hervor, inwieweit die Teilnahme an den beschriebenen akademischen Kursen und Weiterbildungsangeboten obligatorisch oder fakultativ ist.

Die Bundesweite Fortbildungsoffensive zur Stärkung der Handlungsfähigkeit von Mitarbeitenden der Kinder- und Jugendhilfe zur Verhinderung sexualisierter Gewalt (2010-2014) stellte eine wichtige Investition in diesem Bereich dar, die jedoch nicht fortgeführt wurde. Der Staatenbericht macht keine Angaben zur evaluierten Wirkung dieser Bundesinitiative und nimmt keine Stellung dazu, inwiefern die gewonnenen Erkenntnisse der Initiative für eine Verstetigung und Institutionalisierung berücksichtigt werden können.

Fachkräfte, die für diesen Bericht konsultiert wurden, betonten, dass multiprofessionelle Fortbildungen, wie sie beispielsweise von ECPAT angeboten werden und im Staatenbericht erwähnt sind , als besonders sinnvoll und hilfreich gelten, da die Teilnehmenden Einsicht in die Komplexität des Phänomens der sexuellen Ausbeutung von Kindern bekommen und die Rollen, Mandate und Arbeitsmethoden der verschiedenen Akteure besser zu verstehen lernen. All dies stellt eine Voraussetzung für eine effektivere und vertrauensvollere Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden und Fachkräfte dar.

ECPAT stellt fest, dass die systematische und verpflichtende Aus- und Fortbildung von Beamten und Fachkräften nach wie vor eine der vordringlichsten Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung darstellt und stärker befördert werden muss. Die akademische und berufliche Ausbildung muss allen relevanten Berufsgruppen Grundkenntnisse über die Rechte des Kindes vermitteln. Beamte und Fachkräfte, die in direktem Kontakt mit Kindern und Familien stehen, haben darüber hinaus einen Bedarf an gezielter Weiterbildung insbesondere in Bezug auf Verfahren und Methoden des Kinderschutzes, wie beispielsweise bei Verfahren zur Ermittlung des Kindeswohls, kindgerechte Kommunikation und die Befragung und Anhörung von Kindern.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die Erarbeitung einer Aus- und Fortbildungsstrategie für alle Berufsgruppen, die mit Kindern und Familien und für sie arbeiten. Eine solche Strategie sollte durch den Bund gemeinsam mit den Ländern, der Vertretung von Städten und Gemeinden, der Wissenschaft, den Fachinstitutionen und der Zivilgesellschaft erarbeitet werden und darauf abzielen, die breite Thematik der Kinderrechte und kindlichen Entwicklung systematisch und verbindlich in die Lehrpläne der entsprechenden akademischen und beruflichen Ausbildung zu integrieren. Zudem bedarf es Maßnahmen für die berufliche Weiterbildung hinsichtlich der Rechte des Kindes im analogen und digitalen Umfeld. Die Aus- und Fortbildungsstrategie sollte interdisziplinäre Kurse zum Kinderschutz in den akademischen Lehrplänen etablieren und multiprofessionelle Fortbildungen im Kinderschutz mit verpflichtender Teilnahme aller relevanten Behörden und Fachkräfte fördern. Die Thematik der sexuellen Gewalt und Ausbeutung von Kindern sollte jeweils besondere Berücksichtigung finden. Die Strategie sollte zudem sicherstellen, dass die Wirksamkeit der Aus- und Fortbildung evaluiert und kontinuierlich befördert wird, beispielsweise durch eine längerfristige beratende Begleitung der Teilnehmenden, Schulungen zum Einsatz evidenzbasierter, kindgerechter Arbeitsmethoden, Unterstützung in der Anwendung des Erlernten im beruflichen Alltag durch das Kollegium sowie durch praktische Handbücher oder Leitfäden für die Anwendung in der Praxis.

1.5 Datenerhebung und Forschung (Art. 4 UN-KRK)

Der Kinderrechtsausschuss forderte die Bundesregierung bereits 2014 nachdrücklich dazu auf, ein umfassendes und integriertes Datenerfassungssystem für alle Bereiche der Konvention und ihrer Fakultativprotokolle einzurichten. Dies ist notwendig, um die Fortschritte bei der Umsetzung der Rechte des Kindes messen zu können. Der Ausschuss äußerte sich besorgt darüber, dass das Fehlen eines solchen Systems in der Bundesrepublik ein beträchtliches Hindernis für die wirksame Planung, Überwachung und Bewertung von politischen Maßnahmen, Programmen und Projekten darstellt.

Der Anhang 2 des Staatenberichts enthält offizielle Statistiken und Daten zu einer Reihe von Kinderrechtsindikatoren, einschließlich Daten zu verschiedenen Formen der sexuellen Gewalt und Ausbeutung von Kindern. Mit dem Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 begannen die Jugendämter, Fallbeurteilungen statistisch zu erfassen, die bei einem Kind ein Risiko für sexuelle Gewalt feststellten.

Die im Anhang 2 aufgeführten Daten sind jedoch nicht repräsentativ für die tatsächliche Verbreitung sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern. Die Kriminalstatistik spiegelt die Anzahl der registrierten Fälle wider, in denen sogenanntes kinder- oder jugendpornografisches Material sichergestellt wurde, sowie abgeschlossene polizeiliche Ermittlungen in Fällen der sexuellen Ausbeutung in der Prostitution und im Menschenhandel, die Zahl der in diesen Fällen identifizierten minderjährigen Opfer und registrierte sexuelle Straftaten gegen Kinder unter 14 Jahren. Umfragestudien geben Auskunft über die Prävalenzraten bei Schulkindern. Aus der Datenlage geht nicht hervor, inwieweit es bei verschiedenen Datenquellen Überschneidungen gibt und inwieweit Kinder von sexuellen Straftaten betroffen sind, die von den verschiedenen Statistiken nicht erfasst werden, wie beispielsweise minderjährige Opfer sexueller Ausbeutung, die sich an Fachberatungsstellen wenden oder durch die aufsuchende und niedrigschwellige Sozialarbeit unterstützt werden, sowie Kinder, die nicht in der Schule sind.

Die wissenschaftliche Forschung hat Gruppen von Kindern identifiziert, die ein unverhältnismäßig hohes Risiko der sexuellen Ausbeutung haben. Während die spezifischen Risiken unbegleiteter asylsuchender Kinder vielfach nachgewiesen und anerkannt wurden, haben andere Risikogruppen bei der programmatischen Planung und Politikgestaltung bisher weniger Beachtung gefunden. Dazu gehören beispielsweise Kinder, die Vernachlässigung und Gewalt in der Familie oder in Institutionen erfahren, Kinder, die auf der Straße leben oder arbeiten, Kinder mit Drogen- und Suchtproblemen, Kinder, die an illegalen oder kriminellen Aktivitäten beteiligt sind, vermisste Kinder, begleitete Minderjährige mit Migrationshintergrund, insbesondere Roma-Kinder aus anderen EU-Mitgliedstaaten, und Kinder, die gemeinsam mit ihren Familien um Asyl ansuchen. Armut und ein Leben auf der Straße erhöhen nachweislich das Risiko der sexuellen Ausbeutung von Kindern in der Prostitution zur Einkommensgenerierung.

ECPAT hält es weiterhin für erforderlich, die Datenlage durch systematischere Datenerfassung und -analyse zu stärken, unter anderem, um Erkenntnisse sowohl zu Mehrfach-Viktimisierung als auch über die Bereitstellung und Wirksamkeit von Hilfeleistungen zu gewinnen. In Ermangelung umfassender und aufgeschlüsselter Daten fehlt den politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen die Evidenzbasis, die zur Messung der Fortschritte und zur erkenntnisbasierten politischen Planung erforderlich ist.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die Einrichtung eines umfassenden und integrierten Datenerfassungssystems für sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Kindern in allen Kontexten, beispielsweise in der Form eines unabhängigen nationalen Berichterstatters oder eines Bund-Länder-Kompetenzzentrums für alle Formen von Gewalt und Ausbeutung von Kindern im analogen und digitalen Umfeld.

1.6 Zusammenarbeit mit der Wirtschaft: Soziale Verantwortung und Rechenschaftspflicht der Unternehmen (Art. 4 UN-KRK, OPSC Präambel)

2014 äußerte der Kinderrechtsausschuss seine Besorgnis über Berichte, denen zufolge deutsche Unternehmen, die im Ausland geschäftlich tätig sind, gegen die Rechte des Kindes verstießen. Er forderte die Bundesregierung auf, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der für alle in der Bundesrepublik oder von deutschem Gebiet aus tätigen Unternehmen gilt und sicherstellt, dass ihre Tätigkeiten die Rechte des Kindes nicht beeinträchtigen. Zudem forderte er, die gesetzliche Rechenschaftspflicht von Unternehmen zu stärken, gegebenenfalls durch Gesetzesreformen und durch die wirksame Umsetzung der entsprechenden internationalen Normen und Richtlinien.

Die Bundesregierung erachtet den bestehenden Rechtsrahmen jedoch als ausreichend, um Verstößen gegen die Rechte des Kindes durch Unternehmen vorzubeugen und diese zu ahnden. Sie setzt weiterhin auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft, anstatt einen verbindlichen Rechtsrahmen vorzugeben. Die Regierung hat angekündigt, die Fortschritte in diesem Bereich zu überwachen und den gesetzlichen Rahmen anzupassen, sollte die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen bis 2020, wenn der derzeitige Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ausläuft, nicht die erwarteten Ergebnisse erzielen. In diesem Fall beabsichtigt die Bundesregierung, eine EU-weite Regelung zu unterstützen.

ECPAT stellt fest, dass diese Maßnahmen den Geltungsbereich des OPSC noch nicht ausreichend abdecken. Der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte befasst sich nicht ausdrücklich mit der sozialen Verantwortung der Unternehmen für den Schutz von Kindern vor Sexualstraftaten und berücksichtigt die Rechte des Kindes in erster Linie im Hinblick auf die Prävention der Kinderarbeit im globalen Handel. Während der § 8b Abs.2 SGB VIII des Bundeskinderschutzgesetzes zwingend Kinderschutzstandards für Träger von Einrichtungen vorsieht, gibt es keine vergleichbaren Regelungen für Unternehmen an geeigneter Stelle. Infolgedessen ist der Kinderschutz bei Aktivitäten, die von Unternehmen organisiert werden, nicht reguliert, wie beispielsweise bei Animationsprogrammen in Hotels, in Kinderbetreuungseinrichtungen und Spielräumen von Einkaufszentren oder Fitnessstudios. Das bedeutet auch, dass keinerlei Qualitätsstandards eingehalten werden müssen.
Internetanbieter und verbundene Unternehmen

Bezüglich der Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern im digitalen Umfeld berichtet die Bundesregierung über das Netzwerk „Keine Grauzonen im Internet“, welches von 2014 bis 2018 aktiv war. Das Netzwerk hatte zum Ziel, die Identifizierung und Meldung von digitalem Bild- oder Videomaterial, das der sexuellen Ausbeutung von Kindern dient, zu fördern. Dazu wurden auch Darstellungen aus der sogenannten Grauzone gezählt, welche auch ohne explizit sexuelle Inhalte für ausbeuterische Zwecke verwendet werden. Durch das Netzwerk sollte die Weiterleitung von rechtswidrigen Inhalten und Darstellungen der Grauzone an Ermittlungsbehörden innerhalb Deutschlands und grenzübergreifend an entsprechende Partnerhotlines verbessert werden. Zudem sollte der Kontakt zu Internetanbietern erleichtert werden, um die Löschung des Materials zu veranlassen.

Der Staatenbericht liefert keine Informationen über die Ergebnisse und Wirksamkeit des Netzwerks, wie beispielsweise Angaben zum Umfang des identifizierten und weitergeleiteten Materials, zur Löschung von rechtswidrigen Inhalten oder zur Wirksamkeit der Strafverfolgungs- und Kinderschutzmaßnahmen in Bezug auf solches Material. Der Bericht nimmt keine Stellung zu Fragen bezüglich der Weiterführung und des Ausbaus des Netzwerkes, unter Beteiligung der zuständigen staatlichen Stellen, NGOs und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure sowie von Unternehmen.

Nach der Verabschiedung des „General Comments zu den Kinderrechten in Bezug auf das digitale Umfeld“ wird zu ein Monitoring wichtig sein, um zu beobachten wie der Bund und die Länder ihren Verpflichtungen zu den Kinderrechten in Bezug auf das digitale Umfeld nachkommen werden.

ECPAT sieht es als erforderlich an, die Aktivitäten des Privatsektors im digitalen Umfeld durch umfassende und systematische Maßnahmen zu regulieren. Die moderne Technologie bietet eine Fülle von Möglichkeiten, Nutzerinnen und Nutzer rechtswidriger Inhalte im Internet zu identifizieren und gegen sie zu ermitteln, Kinder zu schützen und rechtswidrige Inhalte nachzuverfolgen und zu löschen. Erfahrene Fachkräfte und Verbände unterstreichen die Notwendigkeit weiterer gesetzlicher und politischer Reformen, um sicherzustellen, dass vorhandene Technologien effektiv genutzt und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Dabei bedarf es Maßnahmen zur Einführung verbindlicher Kinderschutzstandards wie Netzzugangsfilter von Internetdienstanbietern, Altersbeschränkungen und obligatorische Altersüberprüfung von Benutzern und Benutzerinnen, geschützte Online-Räume für Kinder, das automatische Ersetzen sexuell eindeutiger Sprache und die automatische Meldung an Ermittlungsbehörden im Fall von strafrechtlich relevantem Verhalten. Darüber hinaus müssen die obligatorische Speicherung von ISP-Aufzeichnungen und ihre Zugänglichkeit für strafrechtliche Ermittlungen geregelt, die automatische Identifizierung rechtswidriger Inhalte und ihrer Nutzer und Nutzerinnen verbessert und anonyme Remailer reguliert werden, um die Weiterleitung rechtswidriger Inhalte zu verhindern. Die Verwendung von Hashwerten oder anderer Möglichkeiten, bekanntes rechtswidriges Material für Zwecke der Strafverfolgung und des Kinderschutzes automatisch zu lokalisieren, muss noch besser geregelt und gefördert werden. Zusätzlich sollten verbundene Unternehmen dazu verpflichtet werden, Kreditkartentransaktionen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Inhalten zu sperren und Werbung auf Internetseiten einzustellen, auf denen rechtswidrige Inhalte angeboten werden.
Unternehmen in der Reise-, Tourismus- und Transportbranche

Obwohl die Bundesregierung mehrere Initiativen zur Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Rahmen von Reisen und Tourismus unterstützt, reichen die im Berichtszeitraum ergriffenen Maßnahmen nicht aus, um die soziale Verantwortung und die Rechenschaftspflicht der Unternehmen in diesem Bereich zu stärken. Die beschriebene Kampagne und das niedrigschwellige Angebot zur Meldung von Fällen tragen dazu bei, das schützende Netzwerk für Kinder auszubauen, ersetzen jedoch nicht die erforderliche Regulierung des Privatsektors und seiner Rechenschaftspflicht. Angaben zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen fehlen im Staatenbericht.

ECPAT beobachtet eine zunehmende Sensibilisierung für die soziale Verantwortung der Unternehmen in der Reise- und Tourismusbranche, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Kindern in Fernreisezielen. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Kontext von Reisen und Tourismus findet jedoch auch innerhalb Deutschlands und im benachbarten europäischen Ausland statt. Zu Tätern und Täterinnen werden nicht nur Touristen und Dienstreisende, sondern auch Personen, die aufgrund ehrenamtlicher oder freiwilliger Tätigkeiten reisen oder aus beruflichen Gründen im Ausland wohnen. Sharing-Economy-Plattformen und Unternehmen, die Online-Buchungssysteme betreiben, spielen in der Tourismusbranche eine wichtige Rolle und erleichtern die Mobilität von Tätern und Täterinnen. Diese Unternehmen sind jedoch noch nicht im gleichen Maße reguliert wie der traditionelle Reise- und Tourismussektor. Organisationen und Unternehmen, die Freiwillige weltweit für kurz- oder längerfristige Einsätze in Einrichtungen und Programme für Kinder vermitteln, müssen gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, die angemessene Schutzmaßnahmen für Kinder gewährleisten. Die Berlin-Deklaration „Transforming Tourism“ bietet wegweisende Leitlinien für die Entwicklung angemessener Steuerungsstrukturen im Tourismus, mit menschenrechtsbasierten Ansätzen in der Tourismuspolitik und verbindlichen Regeln zur Haftung von Unternehmen, insbesondere auch in Bezug auf die Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. sicherzustellen, dass ein umfassender gesetzlicher Rahmen besteht, der Unternehmen, die ihren Sitz in Deutschland haben oder in Deutschland tätig sind, dazu verpflichtet, die Rechte des Kindes im analogen und digitalen Umfeld zu gewährleisten gemäß der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Rechenschaftspflicht von Unternehmen sollte verbindlich und effektiv geregelt werden. Der gesetzliche Rahmen sollte Unternehmen und andere kommerzielle Akteure, die Dienstleistungen für Kinder erbringen oder Kinder als Kunden haben, dazu verpflichten, Kinderschutzkonzepte zu erarbeiten, diese zu veröffentlichen, regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren.
  2. die Anwendung von Kinder- und Jugendschutzstandards in der digitalen Wirtschaft verpflichtend zu machen, unter Berücksichtigung der neuesten technischen Maßnahmen für den Kinder- und Jugendschutz. Anbieter von Internetdiensten sollten dazu verpflichtet werden, Kontaktpersonen für den Kinder- und Jugendschutz zu beschäftigen, sowie Moderatorinnen und Moderatoren für Online-Spiele, Chatrooms und andere von Kindern genutzte Anwendungen, müssen für die Aufgaben im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes geschult, kompetent sein und Supervision erhalten. Kinder- und Jugendschutzeinstellungen sollten in allen von Kindern genutzten sozialen Medien, Internetdiensten und Anwendungen obligatorisch sein. Minderjährige und erwachsene Nutzerinnen und Nutzer, Eltern und Dienstleister, die mit Kindern arbeiten, müssen ordnungsgemäß über die entsprechenden Einschränkungen und Filter informiert werden. Nutzer und Nutzerinnen sollten über diese Schutzeinstellungen informiert und abgefragt werden, ob sie ihnen zustimmen, wenn sie die Nutzungsbedingungen akzeptieren.
  3. Wirtschaftsunternehmen und andere gewerbliche Akteure gesetzlich dazu zu verpflichten, für ihre Aktivitäten an einem bestimmten Standort und entlang der gesamten Wertschöpfungskette Sozialverträglichkeitsprüfungen durchzuführen und die Ergebnisse zu veröffentlichen, mit gebührender Berücksichtigung der Kinderrechte und des Schutzes von Kindern vor sexueller Ausbeutung. Darüber hinaus sollten Mechanismen vorhanden sein, um nachteilige Auswirkungen gewerblicher Tätigkeiten auf die Kinderrechte vorzubeugen und gegebenenfalls abzumildern, im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen für Menschenrechte und Wirtschaft, den entsprechenden internationalen Standards und der Berlin-Deklaration „Transforming Tourism“.
  4. die Durchführung einer Gesetzesreform zur Regulierung der Reiserichtlinien von staatlichen Agenturen und privaten Akteuren, die an Public-Private-Partnership-Verträgen mitwirken, mit dem Ziel, dass Dienstreisen nur über akkreditierte Unternehmen gebucht werden, die über ein Kinderschutzkonzept verfügen.

1.7 Internationale Zusammenarbeit (Art. 10 OPSC)

Der Aktionsplan 2017 der Bundesregierung „Agents of Change“ – Kinder- und Jugendrechte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit fördert die Rechte des Kindes in der bi- und multilateralen Zusammenarbeit. Der Aktionsplan markiert möglicherweise den Beginn eines Wandels hin zu einer stärkeren Berücksichtigung der Rechte des Kindes in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Mit einem Schwerpunkt auf der Integration der Kinderrechte in verschiedenen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit, der Förderung der Teilhabe von Kindern und der Partnerschaft mit spezialisierten Organisationen, legt der Aktionsplan derzeit die Grundlagen für weitere Investitionen in diesem Bereich. ECPAT sieht darin eine Chance und ein Potenzial, dass es auszubauen gilt. Dazu ist es notwendig, den Aktionsplan über den geplanten Zeitraum von zwei Jahren hinaus aufrechtzuerhalten und auszuweiten. Daran anschließend bedarf es zielgerichteter Aufmerksamkeit, um eine wirksame Umsetzung der Kinderrechte in und durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu befördern, unter anderem durch die Unterstützung der Partnerländer bei der Entwicklung nationaler und lokaler Kinderschutzsysteme, im Rahmen weiterreichender Maßnahmen zur Förderung der Umsetzung der Konvention über die Rechte des Kindes und ihrer Fakultativprotokolle.

Eines der Ziele des Aktionsplans ist es, bis 2019 die Einführung einer Kinderschutz-Policy zu prüfen, die Kinder im Einflussbereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und in ihren Institutionen schützt. Während diese Prüfung einen wichtigen ersten Schritt darstellt, hält ECPAT es für dringend erforderlich, dass Kinderschutzkonzepte in der Entwicklungszusammenarbeit und ihren Institutionen tatsächlich vorhanden sind und aktiv genutzt werden, um Kinder wirksam gegen alle Formen der Gewalt und insbesondere sexuelle Gewalt und Ausbeutung zu schützen.

Das Ziel, die Rechte und die Teilhabe von Kindern in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit zu fördern, ist auch für die Zusammenarbeit mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in fragilen Kontexten zur Unterstützung von Prozessen der Friedenskonsolidierung und Staatenbildung von großer Bedeutung. Es muss daher sichergestellt werden, dass die Erfahrungen mit der Umsetzung des Aktionsplans, insbesondere der Ergebnisse aus Monitoring und Evaluierung, die Entwicklungszusammenarbeit ebenso weiterhin beeinflussen wie die weitere Arbeit mit den Leitlinien der Bundesregierung für das Engagement in fragilen Staaten und Kontexten.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. sicherzustellen, dass Kinderschutzkonzepte vorhanden sind, die für alle Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und für das deutsche Engagement in fragilen Staaten und Kontexten gelten und wirksam sind.
  2. die Förderung der Rechte des Kindes, einschließlich des Schutzes von Kindern vor sexueller Gewalt und Ausbeutung, in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und im Engagement in fragilen Staaten und Kontexten aufrechtzuerhalten und auszubauen, unter anderem dadurch, dass von der anfänglichen Integration der Rechte des Kindes zügig zu Maßnahmen zu deren wirksamer Umsetzung in der Praxis übergegangen wird.

2. Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern

2.1 Ein Kontinuum von Leistungen im analogen und digitalen Umfeld (Art. 9 Abs. 1 OPSC)

Die Bundesregierung hat die Risiken der sexuellen Ausbeutung von Kindern im digitalen Umfeld ausdrücklich anerkannt. Der Staatenbericht erläutert jedoch nicht, wie die Hilfeleistungen und Unterstützungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche im digitalen und analogen Umfeld wirksam miteinander verbunden und koordiniert werden, um ein Kontinuum von Leistungen bereitzustellen.

Sobald Täter und Täterinnen sexuelle Gewalthandlungen gegen Kinder im analogen Umfeld fotografieren oder auf Video aufzeichnen, besteht die Gefahr, dass dieses Material in der Folge im Internet geteilt oder verkauft wird, wodurch ein einzelner Akt der Gewalt zu einer fortdauernden Ausbeutung führt. Infolgedessen ist eine strikte Trennung von sexueller Gewalt und sexueller Ausbeutung und von Straftaten im analogen und digitalen Umfeld häufig weder möglich noch sinnvoll. Die Forschung zeigt zudem, dass frühere Erfahrungen mit Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt in der Familie, das Risiko eines Kindes erhöhen, sexualisierten Kontakten und Angeboten im Internet ausgesetzt zu werden, was mit einem Risiko der sexuellen Ausbeutung einhergeht.

Eine Umfrage mit einer geschlechterrepräsentativen Stichprobe von Erwachsenen und eine Onlinebefragung mit Kindern ergab, dass ungefähr 8,5 Prozent der befragten Teilnehmenden Erfahrungen mit sexueller Gewalt in der Kindheit hatten, wobei der erste Übergriff durchschnittlich im Alter von 9,5 Jahren geschah. Die Betroffenen hatten nur etwa in einem Drittel der Fälle mit jemandem darüber gesprochen, und nur 1 Prozent der Fälle war den Ermittlungsbehörden oder Jugendämtern gemeldet worden.

Insgesamt zeigen diese Daten, dass die Förderung der Rechte des Kindes im digitalen Umfeld, einschließlich des Schutzes vor sexueller Ausbeutung, ein Querschnittsthema ist, das alle Dimensionen der Kinder- und Jugendpolitik betrifft, beginnend mit der frühkindlichen Bildung und Betreuung, wie auch in den entsprechenden Leitlinien des Europarates zu den Rechten des Kindes im digitalen Umfeld zum Ausdruck gebracht wird. In allen sozialen Politik- und Berufsfeldern sollten die Präventions-, Hilfe- und Unterstützungsprogramme daher neben dem analogen auch das digitale Umfeld berücksichtigen.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die Förderung der Rechte des Kindes im digitalen Umfeld als Querschnittsthema anzuerkennen und zu gewährleisten, dass alle politischen Felder und Programme, die Kinder und Familien betreffen, diese Aufgabe besonders berücksichtigen, wie beispielsweise politische Maßnahmen bezüglich der Medien, der Wirtschaft und anderer relevanter Bereiche.
  2. das Vorhandensein von Kinderschutzkonzepten für alle Organisationen, Institutionen, Verbände und Dienste, die mit Kindern arbeiten, mit Kindern in Kontakt stehen oder Kinder als Kunden haben, verbindlich machen, unter gebührender Berücksichtigung der Risiken sexueller Gewalt und Ausbeutung im digitalen und analogen Umfeld. Ein Kinderschutzkonzept sollte für die Erteilung und Erneuerung von Lizenzen verpflichtend nachgewiesen werden, wie auch vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs empfohlen wird. Kinderschutzkonzepte gelten als wirksamer, wenn sie unter Teilhabe von Kindern entwickelt, überprüft und begleitet werden. Eine Überprüfung sollte regelmäßig stattfinden.

2.2 Präventionsmaßnahmen (Art. 9 Abs. 2 OPSC)

Der Staatenbericht informiert über zahlreiche Präventionsprojekte, die in Schulen und anderen Einrichtungen für Kinder durchgeführt werden, um Kinder und Erwachsene für die Risiken sexueller Gewalt zu sensibilisieren. Es gibt jedoch weder einen bundesweiten Überblick über diese Aktivitäten und ihre Wirkung noch eine evidenzbasierte Planung und Koordination auf Bundesebene. Im konkreten Anwendungsbereich des OPSC stellen der präventive Ansatz und die Aktivitäten im Rahmen des Bundeskooperationskonzepts „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“ ein positives Beispiel für die Berücksichtigung präventiver Ansätze dar. In Bezug auf den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Kontext von Reisen und Tourismus gilt die länderübergreifende Kinderschutzkampagne „Nicht wegsehen!“ als positives Beispiel, das es verdient, weitergeführt zu werden. Ziel ist es, die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Kontext von Reisen und Tourismus zu verhindern und die Meldung von Fällen und Verdachtsmomenten zu erleichtern. Über diese Aktivitäten hinaus würden ECPAT und seine Partner vonseiten der Bundesregierung gerne einen umfassenderen und stärker koordinierten Ansatz zur Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern sehen.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die koordinierte Förderung eines umfassenden Maßnahmenpaketes zur Prävention der sexuellen Ausbeutung von Kindern, zusätzlich zur Prävention der sexuellen Gewalt gegen Kinder. Präventionsmaßnahmen sollten auch Informations- und Sensibilisierungskampagnen für verschiedene Zielgruppen umfassen, wie beispielsweise Beamte und Fachkräfte, die mit Kindern arbeiten, die allgemeine Bevölkerung, Eltern und Kinder.

2.3 Förderung ethischer und menschenrechtsbasierter Terminologie (Art. 9 Abs. 2 OPSC)

Im Jahr 2019 wurde der Terminologische Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt in deutscher Sprache herausgebracht. Der Leitfaden wurde unter der Leitung von ECPAT Deutschland in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, Dienstleistern und zivilgesellschaftlichen Organisationen erarbeitet. Durch den internationalen Terminologischen Leitfaden von 2016 inspiriert, zielt auch die deutsche Version darauf ab, die Haltung gegenüber Kindern zu beeinflussen, die Opfer von Sexualstraftaten sind, ihre Würde zu schützen und die Anerkennung des Kindes als Rechtssubjekt zu fördern. Die Erarbeitung der Leitlinien wurde als notwendig erachtet, da sich mit der fortschreitenden Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes und seiner Fakultativprotokolle die Sensibilität für die Terminologie im Bereich des Kinderschutzes weiterentwickelt hat. Anstelle der Begriffe „Kinderprostitution“, „Kinderpornografie“ und „Kindersextourismus“, welche zum Zeitpunkt der Annahme des Fakultativprotokolls üblich waren, empfehlen die Leitlinien stärker rechtsbasierte Begriffe wie „sexuelle Ausbeutung von Kindern in der Prostitution“, „Missbrauchsabbildungen“ und „sexuelle Ausbeutung im Kontext von Reisen und Tourismus“.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die konsequente Anwendung der im deutschen Terminologischen Leitfaden vereinbarten Begriffe und Konzepte in der Arbeit und Kommunikation von Behörden und ihren offiziellen Partnern zu fördern und ihre Verwendung in Gesetzgebungsverfahren, in der Wissenschaft, in der allgemeinen und beruflichen Bildung und unter privaten Akteuren, die mit Kindern und Familien und für sie arbeiten, sowie in den Medien zunehmend zu befördern.

2.4 Therapieprogramme für potenzielle und verurteilte Straftäter zur Nachfragereduktion (Art. 9 Abs. 1 OPSC)

Präventionsprogramme für potentielle Täter

Wie aus dem Staatenbericht hervorgeht, bietet das Netzwerk „Kein Täter werden“ eine präventive Therapie für Personen an, die sich sexuell von Kindern angezogen fühlen, ihre sexuellen Vorlieben als belastend empfinden und Hilfe suchen, um nicht straffällig zu werden. Teilnehmer werden unter der Bedingung zugelassen, dass sie keine Sexualstraftaten begangen haben. Das evidenzbasierte Programm wird von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet. Es wurde 2005 ins Leben gerufen und 2011 als landesweites Netzwerk etabliert. Im Jahr 2016 ermöglichte eine Gesetzesreform die kostenlose Teilnahme an der Therapie, da die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden.

Das Programm schließt eine Schutzlücke, da die Therapie für potenzielle Täter andere Präventionsmaßnahmen ergänzt, die sich an Kinder, Eltern und Fachkräfte richten. Evaluierungen belegen, dass es dem Programm gelingt, Risikofaktoren zu reduzieren. Bei 98 Prozent der Teilnehmer wurde eine nachhaltige Verhaltensänderung bewirkt, die verhindert, dass sie zu Tätern werden.

Die Nachfrage nach der Präventionstherapie ist hoch. Bis Ende Dezember 2018 hatten sich deutschlandweit 10.499 Personen an das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ gewandt. 3.672 Personen hatten sich an einem der elf Orte zur Diagnose und Beratung vorgestellt, von denen 1.783 ein Therapieangebot erhielten. Personen, für die es aufgrund der geografischen Distanz schwierig ist, an einen der Therapieorte zu gelangen, haben die Möglichkeit, sich für das Online-Selbsthilfeprogramm „Troubled Desire“ anzumelden. Das Präventionsnetzwerk bietet auch ein spezielles Programm für Jugendliche an. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass präventive Therapie besonders wirksam zu sein scheint, wenn sie bereits im jugendlichen Alter beginnt.

Rückfallkriminalität verhindern: Risikoeinschätzungen bei Angeklagten und verurteilten Straftätern

Der Staatenbericht nimmt keine Stellung zu Maßnahmen zur Reduzierung der Rückfallkriminalität von Sexualstraftätern. Derzeit gibt es keine gesetzlichen Regelungen, die sicherstellen, dass wegen Sexualstraftaten Angeklagte im Laufe des Gerichtsverfahrens einer psychopathologischen Risikoeinschätzung unterzogen werden. Untersuchungen der Universität Kiel ergaben, dass nur rund 12 Prozent der Angeklagten in Strafprozessen, die Sexualstraftaten betreffen, während der Ermittlungen oder des Verfahrens von einer qualifizierten psychiatrischen Fachkraft begutachtet wurden. Wenn psychopathologische Gutachten in Auftrag gegeben werden, beschränken sie sich in der Regel darauf, festzustellen, ob der Angeklagte als schuldfähig angesehen werden kann. Das Risiko der Rückfallkriminalität wird in der Regel erst dann beurteilt, wenn ein verurteilter Täter kurz vor der Haftentlassung steht. Während des Vollzugs sind Therapie und Behandlung von Personen, die Sexualstraftaten gegen Kinder begangen haben, nicht als Standardmaßnahme vorgesehen. Infolgedessen besteht ein hohes Risiko, dass ein Täter nach seiner Haftentlassung erneut straffällig wird. Erkenntnisse aus anderen Ländern belegen, dass Risikoeinschätzungen während des Strafverfahrens und die therapeutische Behandlung während des Vollzugs die Rückfallquote signifikant senken und damit die Prävention von Sexualstraftaten gegen Kinder verbessern.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. das präventive Therapieprogramm für potenzielle Täter zu verstetigen und die Anzahl der Therapieplätze landesweit zu erhöhen, um Wartezeiten zu verkürzen und den Zugang auch in ländlichen Gebieten zu erleichtern.
  2. die Entwicklung evidenzbasierter Therapieprogramme für Personen, die wegen Sexualstraftaten gegen Kinder rechtskräftig verurteilt wurden, insbesondere hinsichtlich einer Sekundär- und Tertiärprävention, unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicher Tätergruppen. Gerichtsurteile bei Sexualstraftaten gegen Kinder sollten für die verurteilten Täter die Teilnahme an einer Therapie ab Beginn der Haftstrafe verpflichtend vorsehen.
  3. die Aus- und Fortbildung von Psychologinnen, Psychologen, Psychiatern und Psychiaterinnen zu fördern, die Personen begutachten, die wegen Sexualstraftaten gegen Kinder angeklagt oder verurteilt sind, um ihr Rückfallrisiko einschätzen. Die akademische Forschung und Lehre an spezialisierten Fakultäten für Sexualmedizin fördern, um die Verfügbarkeit spezialisierter forensischer Expertise, Therapie und Behandlung für potenzielle und verurteilte Täter bundesweit zu erhöhen.

3. Effektive Strafverfolgung

3.1 Die Durchsetzung der Gesetze in Deutschland verbessern (Art. 1 und 3 OPSC)

Wie im Staatenbericht dargestellt, ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern in der Prostitution, in der Pornografie, im Kontext von Reisen und Tourismus sowie im Zusammenhang mit dem Handel und dem Verkauf von Kindern durch das Strafgesetzbuch verboten. Während das Strafrecht einen ausreichenden Handlungsspielraum für die Verfolgung von Tätern und den Schutz der Opfer bietet, bestehen weiterhin Schwierigkeiten bei der wirksamen Durchsetzung dieser Gesetze.

Die Polizei und Staatsanwaltschaften können bei der Ermittlung und Anklage von Fällen der sexuellen Ausbeutung von Kindern zahlreiche Erfolge vorweisen, insbesondere in Fällen der sexuellen Ausbeutung in der Prostitution und beim Handel mit Kindern. Sie haben erkannt, dass Straftatbestände im digitalen Umfeld, wie der Besitz von rechtswidrigen Inhalten und deren Verbreitung im Internet, heute weit verbreitet sind, die mithilfe einer besseren Ausstattung, zunehmender Spezialisierung und Technologie identifiziert und untersucht werden könnten. In vielen Fällen bleiben die Ermittlungen jedoch hinter den umfangreichen kriminellen Aktivitäten zurück, insbesondere bei Straftaten im digitalen Umfeld. Dieser Ermittlungsstau kann nur durch eine höhere Zahl spezialisierter Beamtinnen und Beamter, den verstärkten Einsatz moderner Technologie, durch die Zuweisung der erforderlichen finanziellen Mittel sowie durch die koordinierte Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden anderer Länder behoben werden.
Der Staatenbericht liefert keine Informationen über die Anzahl von Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden, die auf sexuelle Straftaten gegen Kinder spezialisiert sind. Aus den jährlich vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Statistiken zum Handel mit Kindern geht hervor, dass es in Berlin eine überproportional hohe Anzahl erfolgreicher Ermittlungen zum Handel mit Kindern gibt. Es spricht vieles dafür, dass dies auf die Arbeit der Spezialdienststelle zurückgeht, die diese Fälle im Berliner Landeskriminalamt ermittelt.

ECPAT und die Fachberatungsstellen für Opfer des Menschenhandels sind sich bewusst, dass es trotz der erzielten Fortschritte nach wie vor zahlreiche Situationen gibt, in denen Mädchen oder Jungen sexuell ausgebeutet werden, beispielsweise in der Prostitution auf der Straße oder in privaten Wohnungen. Viele dieser Fälle sind den Behörden bekannt, ohne dass es gelingen würde, die Ausbeutungssituationen zu beenden und die Täter zu ergreifen. Manche Kinder in Situationen der Ausbeutung sind einem hohen Maß an Druck, Kontrolle oder Bedrohung ausgesetzt. Zum Teil lehnen Kinder es ab, Hilfeleistungen anzunehmen, da sie wenig Vertrauen in Ämter und Behörden haben und sie nicht davon ausgehen, sinnvolle Hilfe zu erhalten. Einige Kinder weigern sich, mit Strafverfolgungsbehörden und Anbietern von Hilfeleistungen zusammenzuarbeiten, nachdem sie aufgrund des hohen Maßes an Gewalt, die sie durch Ausbeuter und Menschenhändler erfahren haben, schwerwiegende gesundheitliche Folgen und Traumatisierungen davongetragen haben. In manchen Kontexten sind allein niederschwellige Angebote und die aufsuchende Sozialarbeit in der Lage, den Kontakt mit Kindern, die sexuell ausgebeutet werden, aufrechtzuhalten und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. bei strafrechtlichen Ermittlungen in Fällen der sexuellen Gewalt oder Ausbeutung von Kindern und des Handels mit Kindern zu gewährleisten, dass Befragungen von minderjährigen Opfern standardmäßig von speziell geschultem Personal durchgeführt werden, wie beispielsweise von qualifizierten Polizeikräften oder Kinderpsychologinnen und Kinderpsychologen.
  2. nternehmen und andere relevante Akteure gesetzlich dazu verpflichten, mit Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten, insbesondere um die Verfügbarkeit von Metadaten illegaler Inhalte, die auf einem Server identifiziert wurden, sicherzustellen, wie in den entsprechenden Richtlinien des Europarates empfohlen.

3.2 Internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden und extraterritoriale Justiz (Art. 4 bis 6 OPSC)

Seit 1993 ermöglicht das Strafgesetzbuch durch das extraterritoriale Prinzip die Strafverfolgung von Sexualstraftaten gegen Kinder, die im Ausland begangen wurden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind daher vorhanden, um im Ausland oder in grenzübergreifenden Kontexten begangene Sexualstraftaten in der Bundesrepublik strafrechtlich zu verfolgen. Diese Bestimmungen können generell bei Fällen der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Kontext von Reisen und Tourismus, im grenzüberschreitenden Menschenhandel und im digitalen Umfeld angewendet werden. Das extraterritoriale Prinzip gilt unabhängig davon, ob die Tat in dem Land, in dem sie begangen wurde, strafrechtlich verboten ist.

ECPAT unterstreicht die Notwendigkeit, die Polizeiliche Kriminalstatistik durch aufgeschlüsselte Daten zur Anwendung des extraterritorialen Prinzips bei Sexualstraftaten gegen Kinder zu erweitern. Eine von ECPAT Deutschland durchgeführte Umfrage unter Gerichten und Landeskriminalämtern brachte insgesamt 38 extraterritoriale Fälle in einem Zeitraum von zehn Jahren (2005–2015) zutage, obwohl bekannt ist, dass die Gesamtzahl von Fällen höher ist. Keines der minderjährigen Opfer in denjenigen Fällen, die zur Verurteilung eines Täters führten, hatte eine Opferentschädigung erhalten.

Mehr Ressourcen, Spezialisierung und entsprechende Technik verhelfen den Strafverfolgungsbehörden zu größeren Ermittlungserfolgen bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Besitz illegaler Inhalte und deren Verbreitung im Internet, auch in transnationalen Kontexten stehen. Der Regierungsbericht äußert sich jedoch nicht zur unzureichenden personellen und technischen Ausstattung der Ermittlungsbehörden. ECPAT stellt fest, dass nachhaltige Lösungen zum Abbau des Rückstands und zur Verbesserung der Wirksamkeit der Strafverfolgung in Bezug auf das digitale Umfeld eine bi- und multilaterale Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden anderer Länder bzw. Europol in Bezug auf green notes, notwendig sind.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. die Datenerhebung und -analyse hinsichtlich der Anwendung des extraterritorialen Prinzips in Fällen der sexuellen Gewalt oder Ausbeutung von Kindern zu verbessen, um die gegenwärtige Praxis und Fortschritte in diesem Bereich zu bewerten und um Erkenntnisse für eine wirksamere Anwendung zu gewinnen.
  2. sicherzustellen, dass das zentrale Melderegister von rechtskräftig verurteilten Sexualstraftätern bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden, Freiwilligen und Ehrenamtlichen für Tätigkeiten im In- oder Ausland, bei denen sie mit Kindern in Kontakt stehen, wirksam und routinemäßigen überprüft wird. Das Melderegister sollte mit einem Reisemeldesystem verbunden sein und auf diese Weise den Datenaustausch und geeignete Meldungen über die bi- und multilaterale Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden, beispielsweise im Rahmen von Interpol und Europol, effektiv ermöglichen.

4. Hilfen, Rechtsmittel und kindgerechte Justiz für minderjährige Opfer der sexuellen Ausbeutung

4.1 Hilfeleistungen und Unterstützung für minderjährige Opfer der sexuellen Ausbeutung (Art. 9 Abs. 3 OPSC)

In seinen abschließenden Bemerkungen von 2014 äußerte der Kinderrechtsausschuss seine Besorgnis über unzureichende Hilfeleistungen und Maßnahmen zur Unterstützung minderjähriger Opfer sexueller Ausbeutung, insbesondere über den unzureichenden und ungleichen Zugang zu Beratung und Behandlung sowie über die unzureichende Finanzierung spezialisierter Behörden und Dienste. Der Ausschuss stellte fest, dass Jungen, Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Migrationshintergrund mit geringen Deutschkenntnissen besondere Schwierigkeiten haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Der Staatenbericht informiert über die Maßnahmen, die Bund und Länder gemeinsam mit Partnern ergriffen haben, um die Hilfeleistungen und Unterstützung für Kinder als Opfer sexueller Ausbeutung zu stärken. Die Bundesregierung hat erkannt, dass Unterstützungsleistungen und Entschädigung vielfach nicht beantragt werden, weil die Betroffenen sich ihrer gesetzlichen Ansprüche nicht bewusst sind. Daher wurden Maßnahmen ergriffen, um Opfer von Straftaten besser zu informieren. Die Bundesregierung sieht es dennoch nach wie vor als schwierig an, allen Personen, die in der Kindheit Opfer von Sexualstraftaten geworden sind, den Zugang zu spezialisierter Fachberatung zu gewährleisten, insbesondere für bestimmte Gruppen und in ländlichen Gebieten.

ECPAT Deutschland begrüßt die steigende Sensibilisierung von Bund und Ländern bezüglich der Notwendigkeit, Kindern als Opfer von Sexualstraftaten einen niedrigschwelligen Zugang zu Hilfen und Unterstützung zu ermöglichen. Die bisher getroffenen Maßnahmen bleiben jedoch unzureichend. Obwohl ein breites Spektrum an Hilfen, Beratung, Kinderschutz-Zentren und -ambulanzen vorhanden ist, können sich minderjährige Opfer von Sexualstraftaten nicht darauf verlassen, dass sie an ihrem Wohnort Zugang zu kindgerechter Information und Beratung sowie zu Hilfs- und Unterstützungsleistungen erhalten, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Fachkräfte, die mit Kindern arbeiten, Anzeichen von sexueller Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel nicht erkennen, sogar bei Kindern, mit denen sie täglich in Kontakt stehen. Eine wirksame Identifizierung wird in erster Linie aufgrund fehlender Sensibilisierung für das Thema und begrenzten Wissens versäumt. Erfahrene Fachkräfte zeigen sich besorgt darüber, dass oftmals geschlechterspezifische Stereotypen einer effektiven Identifizierung und Weiterverweisung minderjähriger Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung im Wege stehen. Die Tatsache, dass Frauen Sexualstraftaten gegen Kinder begehen, ist nur wenig bekannt und erforscht. Beschäftigte im sozialen Bereich, im Gesundheits- und Bildungswesen neigen dazu, die Formen und den Umfang der sexuellen Ausbeutung von Jungen zu unterschätzen. Sichere Unterkünfte für Jungen, Intersex- und Transgender-Kinder, die von sexueller Gewalt betroffen sind, sind kaum verfügbar.

Forschungsergebnisse zeigen, dass 60 Prozent der Kinder, die Hilfeleistungen erhielten, nachdem sie Opfer einer Sexualstraftat wurden, Symptome einer psychischen Störung zeigten, wie beispielsweise posttraumatische Stresssymptome und Depressionen. Diese waren auf sexuelle Gewalterfahrungen zurückzuführen. Aufgrund von Schamgefühlen sprachen viele Kinder erst ein Jahr nach dem Vorfall mit jemandem über die Tat. 20 Prozent der Kinder fühlten sich nicht ausreichend unterstützt. Obwohl Kinder Symptome zeigten, die eine Behandlung erforderten, erhielten 62 Prozent keine geeignete Therapie. Ein Drittel der Kinder empfand die Angebote der Jugendämter als wenig hilfreich.
ECPAT Deutschland sieht es daher als erforderlich an, die Qualität der Hilfeleistungen für Kinder weiter zu verbessern und die Verwendung standardisierter Methoden zur Falleinschätzung, Diagnose und Therapie zu fördern. Die Empfehlungen des Kinderrechtsausschusses aus dem Jahr 2014 sind weiterhin von hoher Relevanz.

Wie auch durch die Expertengruppe GRETA des Europarates angemerkt, beschränkt sich der Anwendungsbereich des Opferschutzgesetzes und die daraus abzuleitenden Ansprüche auf Entschädigung auf Opfer von Straftaten, die ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland haben. Für ausländische Kinder bedeutet dies eine Schutzlücke, die geschlossen werden muss. Die Gesetzeslage sollte gewährleisten, dass Kinder, die Opfer sexueller Ausbeutung geworden sind, uneingeschränkt geschützt werden und eine angemessene Unterstützung für ihre Genesung und Rehabilitation erhalten, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Aufenthaltsstatus.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. Kindern, die Opfer von Sexualstraftaten geworden sind, den uneingeschränkten Zugang zu Hilfeleistungen und Unterstützung zu garantieren, einschließlich kindgerechter Informationen, Fachberatung, kindgerechter Kommunikation und Befragung, Behandlung, Unterbringung und Therapie.
  2. die gezielte Schulung von Fachkräften der Kinderpsychologie und -psychiatrie in Bezug auf Diagnose, Auswirkungen und Behandlung bei sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern, einschließlich der Identifizierung und Behandlung von Traumatisierung und dissoziativen Störungen infolge besonders grausamer und länger andauernder Ausbeutungssituationen. Daneben zu geeigneten Formen der Hilfe und Unterstützung für Kinder, die weiterhin im digitalen Umfeld ausgebeutet werden.
  3. den Anspruch auf Entschädigung aus dem Fonds Sexueller Missbrauch für Kinder und Erwachsene als Opfer von Sexualstraftaten gewährleisten, die keinen ständigen Wohnsitz in Deutschland haben.

4.2 Rechtsmittel und kindgerechte Justiz (Art.8 und Art.9 Abs. 4 OPSC)

Mit dem Inkrafttreten des überarbeiteten Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern in Strafverfahren im Jahr 2015 wurde der Rechtsanspruch kindlicher Opfer von Sexualstraftaten auf Unterstützung während des Strafverfahrens gestärkt. Opfer von Sexualstraftaten haben für die Dauer des Gerichtsverfahrens Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung. Diese Neuerung soll insbesondere jungen Opfern von Sexualstraftaten eine bessere Unterstützung bieten. Fachkräfte berichten jedoch, dass die Qualität der Leistungen variiert, da die Ausbildung und Qualifizierung von Anbietern psychosozialer Prozessbegleitung nicht verbindlich geregelt ist.
Erfahrungen haben gezeigt, dass die Teilnahme des Kindes als Opferzeuge oder -zeugin in Zivil- und Strafverfahren häufig im Widerspruch zum sofortigen Zugang zu einer Therapie steht, da angenommen wird, dass die Therapie die Aussage des Kindes beeinflusst. Die Zulassung von Video-Vernehmungen minderjähriger Opfer von Sexualstraftaten und die Einführung dieser Praxis als allgemeiner Standard würde diesen potenziellen Interessenskonflikt lösen und es dem betroffenen Kind ermöglichen, eine Therapie zu beginnen, während das Verfahren noch läuft.

Das Bürgerliche Gesetzbuch verpflichtet die Familienrichterinnen und Familienrichter, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Der Begriff des Kindeswohls ist für diesen Kontext jedoch nicht definiert, und es gibt keine verbindlichen Vorschriften für die Einschätzung und Bestimmung des Kindeswohls durch das Familiengericht. Ebenso bleibt offen, auf welche Weise Familiengerichte sicherzustellen haben, dass das Kindeswohl in ihren Entscheidungsprozessen eine vorrangige Rolle spielt. Infolgedessen berichten Fachkräfte über gerichtliche Entscheidungen im Rahmen von Kindeswohlbestimmungen, die dem Schutz des Kindes nicht das angemessene Gewicht beimessen.

ECPAT Deutschland empfiehlt

  1. zu gewährleisten, dass Kinder als Opfer sexueller Ausbeutung Zugang zu kindgerechten Rechtsmitteln und Justiz haben, im Einklang mit den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates. Die Errichtung von vom Kind aus gedachten Konzepten, bei denen multiprofessionelle Leistungen unter einem Dach koordiniert werden, im Sinne des nordischen „Barnahus“ und vergleichbarer Konzepte, muss weiter vorangetrieben werden. Die Pilotprojekte, die das Barnahus-Konzept in Deutschland testen, sollten evaluiert und debattiert werden, um das für den föderalen Kontext am besten geeignete Modell zu bestimmen.
  2. die Anhörung des Kindes in allen es betreffenden Gerichtsverfahren garantieren, und zwar nach dem Grundsatz des Kindeswohls, wobei sicherzustellen ist, dass kinderfreundliche Bedingungen und qualifiziertes Personal die Anhörung so gestalten, dass sie den Bedürfnissen des Kindes entspricht. Zudem sollte eine generelle Altersbegrenzung aufgehoben werden, sodass auch Kinder im Vorschulalter angehört werden können. In Strafverfahren sollte im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und des ordnungsgemäßen Verfahrens die standardisierte Verwendung von auf Video aufgezeichneten forensischen Befragungen oder Anhörungen von minderjährigen Opfern und Zeug_innen bei Gericht zugelassen werden.
  3. Richter und Richterinnen, die verwaltungs-, zivil- oder strafrechtliche Verfahren führen, die Kinder betreffen, insbesondere Richter und Richterinnen an den Familiengerichten sowie die Schöffen, sollten eine verbindliche Aus- und Fortbildung in Bezug auf Kinderrechte absolvieren.
    Die Aus- und Fortbildung sollte des Weiteren folgende Inhalte vermitteln: die Verfahren zur Bestimmung des Kindeswohls im Kontext der Justiz; kindgerechte Anhörungen; die Verwendung evidenzbasierter Befragungsprotokolle für minderjährige Opfer und Zeugen; die sich entwickelnden Fähigkeiten des Kindes, verlässliche und genaue Aussagen zu treffen, sowie die gesundheitlichen Auswirkungen sexueller Gewalt und sexueller Ausbeutung, wie beispielsweise die Auswirkungen von Traumatisierung und Dissoziation auf die Aussagefähigkeit des Kindes. Eine solche Aus- und Fortbildung sollte Standardbestandteil akademischer Lehrpläne sein und durch kontinuierliche Weiterbildung am Arbeitsplatz erfolgen.
  4. das Verfassen von Gutachten für Gerichtsverfahren, in denen das Kindeswohl oder andere Fragen bezüglich minderjähriger Opfer sexueller Ausbeutung begutachtet werden, durch verbindliche Qualitätsstandards zu regeln und deren Anwendung durch Schulungen zu befördern, wie bereits vom Fachkreis „Sexualisierte Gewalt in Organisierten und Rituellen Gewaltstrukturen“ empfohlen.
Vorheriges Kapitel
1. Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (OPAC)