Die Kinder- und Jugendhilfe trägt den heutigen Kennzeichen von Jugend mit einer längeren Jugendphase, längeren Bildungswegen und längerer wirtschaftlicher Abhängigkeit von den Eltern unzureichend Rechnung. Dies betrifft das Leben Jugendlicher in den stationären Hilfen zur Erziehung. Hier werden Beziehungen und soziale Infrastrukturen aufgebaut, die die Rechte von jungen Menschen in „alternative care“ im Übergang ins Erwachsenenalter stärken sollten. Durch die restriktive Gewährung von Hilfen nach dem 18. Geburtstag – obwohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Einzelfall Unterstützung bis zum 27. Lebensjahr vorsieht – werden die Schutzrechte junger Menschen gefährdet. Die „Guidelines for the Alternative Care of Children“ von 2010 stellen die öffentliche Verantwortung für die Gewährleistung sozialer Netzwerke im Übergang heraus.
Schon im Jugendalter und besonders mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres bricht der Anteil der jungen Menschen in den Hilfen zur Erziehung abrupt ein. Die beschleunigten Übergänge aus stationären Erziehungshilfen, die häufig bereits vor dem 18. Geburtstag beginnen, produzieren prekäre Lebenslagen junger Menschen. Die Kernherausforderungen von Jugend wären eigentlich andere, wie beispielsweise Selbstpositionierung, Qualifizierung und Verselbstständigung. Die Perspektive, mit 18 Jahren die Jugendhilfe und die damit verbundenen sozialen Unterstützungssysteme verlassen zu müssen, hat auch negative Rückwirkungen auf Jugendliche in stationären Hilfen. Die großen Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft erschweren es massiv, sich auf altersangemessene Entwicklungsaufgaben und emotionale Stabilisierung konzentrieren zu können. Das gilt insbesondere auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Die Situation junger Menschen ohne „alternative care“ hebt sich deutlich ab: Sie ziehen durchschnittlich immer später von zu Hause aus. Der Einstieg in eine Berufsausbildung hat sich in den letzten 10 Jahren um circa ein Lebensjahr nach hinten verschoben und liegt inzwischen bei fast 20 Jahren. Familien übernehmen für die Versorgung und Begleitung ihrer erwachsenen Kinder oft unverzichtbare Aufgaben. Care Leavern fehlt diese familiäre Unterstützung und Absicherung großenteils, wenn sie ohne weitere Hilfe in die „Selbstständigkeit“ entlassen werden. Die mangelnde öffentliche Gewährleistung einer Sorgebeziehung gegenüber Care Leavern, welche der familiären Sorgebeziehung gleichwertig wäre, führt zu einer deutlichen Benachteiligung.
- Die National Coalition Deutschland empfiehlt dem UN-Ausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
- 82. Maßnahmen zu ergreifen, damit kein junger Mensch ohne Schulabschluss, Ausbildungsplatz oder eine existenzsichernde Perspektive die Kinder- und Jugendhilfe verlässt;
- 83. den Anspruch auf verbindliche Fortsetzung von Hilfen im Bedarfsfall für eine sichere Zukunftsperspektive zu gewährleisten;
- 84. eine geregelte Übergangsbegleitung aufzubauen für junge Menschen, einschließlich junger geflüchteter Menschen, die die stationäre Erziehungshilfe verlassen, sowie verlässliche Nachbetreuung und Rückkehroptionen vorzuhalten;
- 85. Selbstorganisationen von Care Leavern strukturell und finanziell zu fördern und sie an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.