4. Behinderung und Gesundheit

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Der zunehmende Mangel an Ärzten und Ärztinnen, Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern, Hebammen und die Schließung von Fach- und Geburtskliniken sind alarmierend. Der Zugang ist insbesondere in ländlichen Regionen gefährdet, weil in den letzten Jahren zahlreiche Kinderabteilungen geschlossen wurden, weitere Schließungen aus wirtschaftlichen Gründen drohen und Fachkräfte fehlen. In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden aufgrund der demografischen Entwicklung überproportional viele Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte in den Ruhestand gehen, ohne dass diese Praxen eine Nachfolge finden. Bei gleichbleibenden bis rückläufigen pädiatrischen Facharztanerkennungen steuert Deutschland auf eine massive Unterversorgung im ambulanten und stationären Versorgungsbereich zu.

Darüber hinaus werden aus ökonomischen Gründen in Kliniken immer mehr Behandlungskapazitäten für Kinder abgebaut. Bei der Behandlung von Kindern durch Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte, die für die Behandlung von erwachsenen Patientinnen und Patienten ausgebildet wurden, ist nicht immer sichergestellt, dass sie eine kindgerechte medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgung erhalten. So findet beispielsweise die stationäre Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen durch Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin in gesetzlichen Regelungen oder Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Sicherstellung keinerlei Berücksichtigung. Diese beziehen sich lediglich auf Abteilungen für Innere Medizin und Chirurgie.

Zugang zur medizinischen Versorgung für geflüchtete Kinder und Jugendliche

Der Zugang zur medizinischen Versorgung von nach Deutschland geflüchteten Kindern und Jugendlichen ist problematisch. Während unbegleitete minderjährige Geflüchtete zwar rechtlich, aber nicht tatsächlich Zugang zu den kompletten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung haben, gilt für geflüchtete Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern nach Deutschland kommen, in den ersten 15 Monaten nur ein Anspruch auf Behandlung bei akuter Krankheit und bei Behandlungen, die zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Für unbegleitete und begleitete Kinder und Jugendliche gilt, dass der Zugang zu psychosozialer Versorgung in der Praxis stark eingeschränkt ist. Präventive Gesundheitsvorsorge und psychotherapeutische Unterstützung finden daher kaum statt. Das liegt neben rechtlichen Hürden auch an sprachlichen Barrieren und der Unkenntnis des deutschen Gesundheitssystems. Dies hat gravierende Folgen für ihre weitere Entwicklung.

Genitalbeschneidung von Jungen

Das geltende Recht erlaubt in § 1631d des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sorgeberechtigten Eltern, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. An etwa 10,9 Prozent der Jungen in Deutschland wird eine Vorhautbeschneidung vorgenommen. Auch unter medizinisch optimalen Bedingungen ist mit einer Komplikationsrate von etwa 5 Prozent zu rechnen, in der Neugeborenenperiode auch mit einer höheren Rate. Mindestens 400 Jungen pro Jahr benötigen wegen medizinischer Komplikationen nach einer Beschneidung einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus. Die Komplikationen reichen von postoperativen Blutungen und Wundinfektionen über Narbenbildungen und Verklebungen bis hin zur Penisamputation.

  • Die National Coalition Deutschland empfiehlt dem UN-Ausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
  • 92. allen Kindern und Jugendlichen uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung einschließlich Gesundheitsförderung, Präventionsleistungen und Rehabilitation zu gewähren;
  • 93. Maßnahmen zu ergreifen, die eine hinreichend qualifizierte kinder- und jugendmedizinische Versorgung sowohl im ärztlichen als auch im Pflegebereich absichern, um einem absehbaren Ärztemangel mittel- und langfristig gegensteuern zu können. Dazu sollte im Rahmen des Masterplans Medizinstudium 2020 die Zahl der Medizinstudienplätze zeitnah deutlich erhöht werden und die Ausbildungsmöglichkeiten im Pflegebereich erweitert werden;
  • 94. die Anforderungen insbesondere zur Erreichbarkeit an die flächendeckende Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen durch Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin an Krankenhäusern an die Anforderungen zur Grundversorgung von erwachsenen Patientinnen und Patienten anzugleichen;
  • 95. die Leistungen zur medizinischen Versorgung so zu erweitern, dass der gleiche Anspruch von geflüchteten Kindern auf ein Höchstmaß an Gesundheit, insbesondere die angemessene Behandlung von Traumatisierung, eingelöst werden kann;
  • 96. Forschungsvorhaben in Auftrag zu geben, welche die tatsächlichen Wirkungen und möglichen Zielabweichungen des bestehenden § 1631d BGB (Beschneidung des männlichen Kindes) und deren Ursachen aufzeigen;
  • 97. unter Berücksichtigung des aktuellen nationalen und internationalen rechtlichen, medizinischen, psychologischen und sozialwissenschaftlichen Sachverstandes sowie unter Einbeziehung von Organisationen der Zivilgesellschaft und von Betroffenenorganisationen, eine Bewertung vorzunehmen, ob und inwiefern die in Deutschland geltende rechtliche Situation und deren Umsetzung in der Praxis mit Bezug zur Beschneidung von Jungen den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention entsprechen.
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