Die zahlreichen öffentlich bekannt gewordenen Fälle sexualisierter Gewalt in Institutionen in den 2010er-Jahren haben die Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft für dieses Thema deutlich erhöht. So wurde von drei Bundesministerien der runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ eingerichtet, das Amt eines Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs geschaffen, eine Aufarbeitungskommission eingesetzt, zahlreiche Studien in Auftrag gegeben und Projekte insbesondere im Bereich der Prävention auf den Weg gebracht.
Auch fanden die Empfehlungen des runden Tisches Eingang in das seit 2012 geltende Bundeskinderschutzgesetz. Alle Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe müssen zur Erlangung ihrer Betriebserlaubnis Konzepte entwickeln, die die Rechte der Kinder sichern, insbesondere ihren Schutz vor Gewalt sowie ihre Beteiligungs- und Beschwerderechte (§ 45 Sozialgesetzbuch VIII). Darüber hinaus müssen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 72a Sozialgesetzbuch VIII erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen. Eine Verurteilung wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung schließt eine Tätigkeit in diesen Arbeitsfeldern aus. Eingerichtet wurde auch das Ergänzende Hilfesystem, das noch andauernde Belastungen als Folgewirkung des Missbrauchs bei Betroffenen ausgleichen beziehungsweise mildern soll und das bestehende sozialrechtliche Versorgungssystem ergänzt. Seit Januar 2017 haben Kinder als Opfer von Gewalt in Strafverfahren ein Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung.
Trotz dieser Entwicklungen und des zunehmenden Wissens über die Studienergebnisse machen Fälle zum Beispiel in Staufen oder Lügde deutlich, dass die schwierige Situation von sexuell missbrauchten Kindern und ihre Notlage nicht erkannt oder nicht ernst genug genommen werden. Die Kritik richtet sich insbesondere an die zuständigen Behörden wie Jugendämter und Polizeidienststellen, die Hinweisen auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder nicht angemessen nachgegangen sind und somit betroffene Kinder nicht geschützt haben. Kritisch zu betrachten sind das Handeln und die Entscheidungen der zuständigen Familien- und Strafgerichte in etlichen Fällen, die Kinder nicht angehört und die Gefährdungssituation falsch eingeschätzt haben. So lautet ein Fazit der Aufarbeitungskommission aus den Schilderungen von Betroffenen, dass ein Vertrauensverlust in Polizei und Justiz erkennbar sei.
Auch wenn die beiden christlichen Kirchen vielfältige Maßnahmen zur Prävention und besseren Intervention ergriffen und Aufarbeitungsprozesse angestoßen haben, wurden Fälle sexualisierter Gewalt durch Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertreter viel zu lange vertuscht, bagatellisiert und/oder lediglich innerkirchlich bearbeitet. So konnten sich viele Täter und Täterinnen der staatlichen Justiz entziehen und mussten keine hinreichende Verantwortung für ihr schädigendes Verhalten übernehmen. Dabei wäre es für viele Betroffene wichtig und würde bei der eigenen Aufarbeitung helfen, wenn das geschehene Unrecht staatlich festgestellt würde. Auch beklagen Betroffene, dass sie zu wenig von den Kirchen angehört und beteiligt werden.
Entgegen alle Erkenntnisse auch hinsichtlich des Ausmaßes ist es bis heute nicht gelungen, die Thematisierung sexualisierter Gewalt als Pflichtinhalt in den Berufs- und Hochschulausbildungen derer, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt sind, zu implementieren.
- Die National Coalition Deutschland empfiehlt dem UN-Ausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
- 65. den „Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“ fortzuschreiben;
- 66. durch eine Reform des § 45 Sozialgesetzbuch VIII die Verpflichtung auch auf bestehende Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe auszudehnen und geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten einzurichten;
- 67. die Einsetzung länderübergreifender und interdisziplinär besetzter Kommissionen zur rückhaltlosen Aufarbeitung da zu verlangen, wo die Kommunikation zwischen den Beteiligten nicht gelang, das Kindeswohl nicht ernst genommen und die Verantwortung für den Kinderschutz nicht wahrgenommen wurde, beispielsweise in Kirchen und Behörden;
- 68. für ein bedarfsdeckendes Angebot an Fachberatungsstellen und Psychotherapie Sorge zu tragen, das Kindern auch in laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren zeitnah zur Verfügung steht;
- 69. in Abstimmung mit den Ländern die Thematik der sexualisierten Gewalt gegen Kinder als Pflichtinhalt in den Berufs- und Hochschulausbildungen derer, die beruflich in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen sind, zu implementieren.